Der selige Kardinal Clemens August Graf von Galen, auch „Löwe von Münster” genannt, wurde 1933 zum Bischof von Münster ernannt und bekleidete dieses Amt bis zu seinem plötzlichen, durch einen Blinddarmdurchbruch verursachten Tod im Jahre 1946.
Während dieser Zeit war es sein Anliegen, die ihm anvertrauten Gläubigen zu einem wahrhaft christlichen Leben anzuhalten; er strebte danach, ihnen als Bischof mit Mut und Entschlossenheit ein Vorbild zu sein. Sich dieser Verantwortung als Bischof bewusst, scheute er sich nicht davor, bei der Regierung in Misskredit zu kommen. Er kritisierte in seinen Hirtenbriefen und Predigten die anti-katholische Ideologie des Nationalsozialismus und trat öffentlich gegen die Verbrechen des Regimes auf.
1878 auf der Burg Dinklage im Oldenburger Münsterland geboren, wuchs Clemens August als elftes Kind einer mit dreizehn Kindern gesegneten, vom katholischen Glauben erfüllten Familie auf.
Der Glaube prägte den Alltag der Familie von Galen. Täglich wurde die heilige Messe besucht und ein gemeinsames Abendgebet in der Schlosskapelle gesprochen. Von Galen erinnerte sich in Schreiben daran, wie seine Eltern zusammen den Rosenkranz beteten, täglich eine halbstündige Andacht hielten und wie sein Vater stets abends vor dem Schlafengehen eine sorgfältige Gewissenserforschung praktizierte.
„Unsere Eltern haben uns stets ein unübertreffliches Beispiel einer gesunden, praktischen Frömmigkeit gegeben”, sagte Kardinal Galen über sein Elternhaus. Über seine Geschwister schrieb von Galen folgendes:
„Sie alle haben aus dem Elternhaus als kostbarstes Erbe einen unerschütterlich festen katholischen Glauben und Liebe zur heiligen Kirche, dann aber auch eine durchweg ernste Lebensauffassung und ein ungewöhnliches Maß von Interesse und Verständnis für die Fragen des öffentlichen Lebens, für die Freuden und Leiden der Kirche, das Wohl und Wehe des Volkes, der Heimat und des Vaterlandes mitgenommen und durchs Leben bewahrt.”
Das Vorbild seiner Eltern legte sicherlich die Grundlage für den tugendhaften Charakter und die Lebenseinstellung des Bischofs. Er war sich der Bedeutung guter Erziehung und Bildung bewusst und setzte sich als Bischof entschieden für den Erhalt der katholischen Bekenntnisschulen ein. Er wusste, dass im Elternhaus sowie in den Schulen die Fundamente einer wahrhaft christlichen Lebenseinstellung gelegt werden. In einem Hirtenbrief aus dem Jahr 1937 ermahnte er die Eltern seines Bistums:
„Denn euer Recht und eure Pflicht ist es, an erster Stelle für die Unterweisung und Erziehung der euch von Gott anvertrauten Kinder zu sorgen. Die Schule ist dazu bestimmt, euch bei Erfüllung dieser Aufgabe zu helfen; daher ist es eure Pflicht, eure Kinder in solche Schulen zu schicken, welche sie im Einklang mit Gottes Wahrheit und Gebot unterrichten und erziehen.”
Nachdem der Selige Kardinal Galen 1896 das deutsche Abitur an einem Gymnasium in Vechta, einer Nachbarstadt von Dinklage, bestanden hatte, begann er 1897 mit einem Studium an der Universität zu Freiburg. Als junger Student entschied er sich bald dazu, Priester zu werden, studierte Philosophie und Theologie in Innsbruck und Münster, wurde 1904 in Münster zum Priester geweiht und erfüllte ebenfalls dort seine ersten priesterlichen Aufgaben als Domvikar.
1906 verließ von Galen die Stadt jedoch bereits wieder, um insgesamt 23 Jahre in Berlin seelsorgerisch tätig zu sein. Dort erlebte er die Zeit des Ersten Weltkrieges und die Jahre der Weimarer Republik. Im Jahre 1929 kehrte der Selige als Pfarrer nach Münster zurück und wurde am 16. Oktober 1933, einige Monate nach der Machtübernahme Adolf Hitlers, zum Bischof geweiht.
So wie von Galen seine Gläubige immer wieder an ihre Verantwortung erinnerte, nahm er auch seine eigenen Bischofspflichten sehr ernst. „Nec laudibus, nec timore” – „Weder durch Lob, noch durch Furcht” – aus dieser Haltung heraus lebte er seinem Wappenspruch getreu. Schon in seinem ersten österlichen Hirtenbrief 1934, welcher von allen Kanzeln seines Bistums vorgelesen wurde, warnte Bischof von Galen seine Gläubigen vor den anti-katholischen Ideologien des NS-Regimes. Diese erkannte er unter anderem in der Überlegenheit einer Rasse, der Leugnung der Sünde, der Erbsünde, der Offenbarung und der Notwendigkeit eines Erlösers, sowie in der Instrumentalisierung der Religion. Von Galen verstand, dass diese Irrlehre zum einen das Seelenheil in ernste Gefahr bringen würde und zugleich einen Angriff auf Zusammenleben, Gesellschaft und Kultur darstellte.
Mit Verweis auf die päpstliche Enzyklika „Caritate Christi” schrieb Kardinal Galen in einem Hirtenbrief zu Ostern 1934 folgendes:
„Der Glaube an Gott ist tatsächlich das unzerstörbare Fundament jeder sozialen Ordnung und jeder Verantwortung auf Erden. Daher müssen alle, die nicht die Anarchie und den Terror wollen, energisch mithelfen, auf daß die Feinde der Religion das von ihnen so offen verkündete Ziel nicht erreichen.”
„Deshalb [darf] ein Bischof nicht schweigen […], wenn die Irrlehre und der Unglaube ihr Haupt erheben“. „An jeden Bischof ist das Wort gerichtet, das der heilige Paulus seinem Schüler Timotheus geschrieben hat: ‚Ich beschwöre dich vor Gott und Christus Jesus, der die Lebendigen und die Toten richten wird, bei seiner Wiederkunft und bei seinem Reiche: Verkündige das Wort, tritt auf, ob gelegen oder ungelegen, weise zurecht, tadele, ermahne mit aller Geduld und Lehrweisheit. Denn es kommt eine Zeit, da man die gesunde Lehre unerträglich findet und aus Verlangen nach Ohrenkitzel nach eigenem Sinn sich Lehrer über Lehrer verschafft. Von der Wahrheit wird man das Ohr abwenden und sich Tadeleien zuwenden. Du aber sei besonnen in allem, trage deine Bürde, erfülle deinen Beruf als Verkünder des Evangeliums und verwalte dein Amt in vollkommener Weise‘ (2 Tim. 4, 1-5.)”
Die falsche Ideologie des Nationalsozialismus hat von Galen von Anfang an abgelehnt. Er verurteilte die zunehmenden Gräueltaten des NS-Regimes und prangerte die Taten der verantwortlichen Regierenden an. Als psychisch kranke Pfleglinge aus Heimen abtransportiert und ermordet wurden, erhob von Galen schriftlich Einspruch bei der Provinzialverwaltung und erstattete Anzeige. Auch die willkürliche Inhaftierung unschuldiger Deutscher und die Enteignung und Vertreibung vieler Ordensleute klagte er bei der Obrigkeit an.
Der Selige wies seine Gläubigen stets auf die Bedeutung „treue[r] Pflichterfüllung in Familie, Beruf [und] Gemeinde“ hin, um „Gott und dem Gottesreich auf Erden, den Mitmenschen, Volk und Staate zu dienen”. In der Zeit des Nationalsozialismus forderte er seine Gläubige jedoch auf, Gott mehr als dem Staat zu gehorchen. Von Galen lehnte den Staat per se keineswegs ab. Er sah die staatliche Macht als notwendig und von Gott eingesetzt an. Der Staat als Autorität müsse aber dem Wohl des Volkes dienen und sich Gottes Geboten unterordnen:
„Denn in dem Augenblick, in welchem menschliche Obrigkeit in ihren Befehlen dem klar erkannten, im eigenen Gewissen bezeugten Willen Gottes widerstreitet, hört sie auf, ‚Gottes Dienerin‘ zu sein, zerstört sie ihre eigene Würde, verliert sie ihr Recht zu gebieten, missbraucht sie ihre Macht zu belohnen und zu bestrafen, und versucht sie freventlich, die von Gott gegebene Freiheit der menschlichen Persönlichkeit, das Ebenbild Gottes im Menschen, zu entwürdigen!”
Unrecht hat, das zeigen die diktatorischen Regime des 20. Jahrhunderts, immer auch etwas mit Willkür zu tun. Diesbezüglich meinte von Galen:
„Keiner von uns ist sicher, und mag er sich bewußt sein, der treueste, gewissenhafteste Staatsbürger zu sein, mag er sich völliger Schuldlosigkeit bewußt sein, daß er nicht eines Tages aus seiner Wohnung geholt, seiner Freiheit beraubt, in den Kellern und Konzentrationslagern der GSTP (der Geheimen Staatspolizei) eingesperrt wird.”
So zeigt sich ein wichtiges Prinzip von Galens im Widerstand: Irrlehre, Unrecht und Verfolgung müssen bekämpft werden, sobald sie erkannt worden sind. Die Irrlehre muss bereits ihrer reinen Existenz wegen bekämpft und darf nicht toleriert werden. Wenn ein jeder abwartet, bis er selbst von Unrecht unmittelbar betroffen ist, wird eine verheerende Ideologie bereits von den größten Teilen der Gesellschaft angenommen sein; meist wird es dann zu spät sein, um die daraus logisch folgenden Verbrechen noch abwenden zu können. Vor der Willkür eines Unrechtsstaats ist ab einem gewissen Stadium selbst der ideologisch Gleichgesinnte nicht mehr geschützt.
In einer Predigt aus dem Jahr 1941 gab von Galen eine konkrete Antwort auf die Frage, was man angesichts eines Unrechtsstaates tun soll:
„Dass wir rückhaltlos und ohne Abstrich die von Gott geoffenbarte Wahrheit annehmen und durch unser Leben bekennen. Dass wir die göttlichen Gebote zur Richtschnur unseres Lebens machen und ernst machen mit dem Wort: lieber sterben als sündigen! Dass wir in Gebet und aufrichtiger Buße Gottes Verzeihung und Erbarmen herabflehen auf uns, auf unsere Stadt, auf unser Land, auf unser liebes deutsches Volk!”
„Gegen den Feind im Innern, der uns peinigt und schlägt, können wir nicht mit Waffen kämpfen.
Es bleibt uns nur ein Kampfmittel: starkes, zähes, hartes Durchhalten!“
„Hart werden und fest bleiben! Wir sind in diesem Augenblick nicht Hammer, sondern Amboss. Andere, meist Fremde und Abtrünnige, hämmern auf uns, wollen mit Gewaltanwendung unser Volk, uns selbst, unsere Jugend neu formen, aus der geraden Haltung gegen Gott verbiegen.
Wir sind Amboss, nicht Hammer! Aber seht einmal zu in der Schmiede! Fragt den Schmiedemeister und lasst es euch von ihm sagen: Was auf dem Amboss geschmiedet wird, erhält seine Form nicht nur vom Hammer, sondern auch vom Amboss. Der Amboss kann nicht und braucht auch nicht zurückschlagen, er muss nur fest, nur hart sein! Wenn er hinreichend zäh, fest, hart ist, dann hält meistens der Amboss länger als der Hammer, wie heftig der Hammer auch zuschlägt, der Amboss steht in ruhiger Festigkeit da, und wird noch lange dazu dienen, das zu formen, was neu geschmiedet wird.”
Von Galen predigte nicht die Revolution, sondern den Widerstand durch treue Pflichterfüllung, Liebe zum Vaterland und unerschütterliches Bekenntnis zur Wahrheit.
Die Verbreitung des wahren, katholischen Glaubens und ein Leben im Bewusstsein der eigenen Endlichkeit und der Rechenschaft, die man einmal vor Gott wird ablegen müssen, waren für Kardinal Galen die besten Voraussetzungen für ein gerechtes, glückliches Zusammenleben und somit der sicherste Schutz gegen einen Unrechtsstaat.
Dem seligen Kardinal war bewusst, welches Risiko er mit seinen öffentlichen Reden und Handlungen gegen das Regime einging. Von Galen erließ bereits 1936 Richtlinien für seine Diözese, die im Falle einer Verhaftung den Fortbestand des kirchlichen Lebens garantieren sollten. Wegen seines Ansehens und seiner Beliebtheit bei der Bevölkerung wagte die Obrigkeit es nicht, von Galen etwas anzutun.
„Nec laudibus, nec timore” – „Weder durch Lob, noch durch Furcht” – dies war das Motto des Kardinals. Stets vertrauend auf Gottes Hilfe und die treue Unterstützung seiner Gläubigen blieb Kardinal von Galen ein Fels in der Brandung, trotz der Gefährdung seiner Freiheit und seines Lebens. Aufgrund seines Muts und seiner unerschütterlichen Standhaftigkeit wurde ihm später der Beiname „Löwe von Münster” verliehen.
Stets von der Hoffnung erfüllt meinte der Kardinal:
„Wenn wir fortfahren, wenn wir treu bleiben in unserem Kampfe, dann wird einmal der Tag kommen, wo all dieser jetzt unterdrückte und zum Schweigen verurteilte Wille wieder hervorbrechen wird, wo Wahrheit und Recht wieder zu Ehren kommen, und wo wir aufs Neue wieder als Christen am Aufbau eines christlichen Deutschland arbeiten können”.
Dem wahren Glauben treu bleiben, immer nach bestem Wissen und Gewissen seinen Standespflichten gemäß handeln – koste es, was es wolle. Wenn wir heute als gläubige Katholiken in die Fußstapfen des Seligen Kardinals treten, so können wir, wenn die letzten Stunden unseres Lebens nahen, voll Zuversicht sagen:
„Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet und bin im Glauben treu geblieben. Nun erwartet mich der Preis – der Siegeskranz der Gerechtigkeit, den der Herr, der gerechte Richter, mir am großen Tag seiner Wiederkehr geben wird.” – 2 Tim 4, 7