Viel ist in den letzten Tagen über die Ungerechtigkeit des im Begleitschreiben zu Traditionis Custodes sowie im Motu Proprio selbst enthaltenen Vorwurfs, die Besucher der alten Messe wären für Spaltungen innerhalb der Kirche verantwortlich, geschrieben worden. Es ist schwer verständlich, warum gerade diejenigen, die die Jahrtausende alte Praxis der Kirche ohne Zäsur fortführen, gegenüber jenen, die die Messe nach einer vor 50 Jahren – für viele sehr überraschend – neu eingeführten Form, deren Missbrauchsanfälligkeit auch von Papst Franziskus im Begleitschreiben zu Traditionis Custodes eingestanden wird, feiern wollen, nun als Spalter dastehen sollen. Die praktische Erfahrung zeigt, dass die Freigabe der alten Messe, insbesondere seit Summorum Pontificum, die Einheit im mystischen Leib des Herrn in vieler Hinsicht – unter Hervorbringung großartiger Früchte – sogar sehr stark gefördert hat.
Waren davor die meisten altrituellen Gemeinden kleine, meist eher verschlossene Gruppierungen ohne große Bedeutung für die Gesamtkirche, hat der Austausch zwischen Katholiken aus diesen Kreisen mit Gläubigen aus neurituellen Gemeinden seit 2007 sehr stark zugenommen. Blickt man etwa auf die vielen neuen Lebens- und Familienschutzaktionen, die sich in den letzten Jahren gebildet haben – und die zum Teil Demonstrationen mit Millionen Teilnehmern auf die Beine gestellt haben – so wird man dort eine hervorragende Zusammenarbeit von Gläubigen mit neu- wie altrituellem Hintergrund feststellen.
Auch das exponentielle Wachstum der berühmten Chartres-Wallfahrt und anderer vergleichbarer Versammlungen von Gläubigen, an denen auch viele Katholiken teilnehmen, die vorwiegend die neue Messe besuchen, zeigt das eindrucksvoll. Dass es in Pfarren, in denen nach beiden Formen zelebriert wird, regelmäßig zu Konflikten gekommen sein soll, wird zwar behauptet – Indizien für die Richtigkeit dieser Vorhaltung stehen aber bislang aus. Selbst wenn es den einen oder anderen Fall tatsächlich geben sollte, rechtfertigt dies – ganz abgesehen davon, dass der Grund für einen solchen Konflikt nicht automatisch bei den altrituellen Messbesuchern liegen muss – ein so hartes Durchgreifen gegenüber der Gesamtheit der Gläubigen nicht. Auch den Reichtum der Bekehrungen, Berufungen und Gründungen, denen Summorum Pontificum den Weg geebnet hatte, ignoriert Traditionis Custodes vollständig.
Ein Besuch einer beliebigen altrituellen Gemeinde – egal wo auf der Welt – vermittelt ebenfalls einen völlig anderen Eindruck, als man ihn aus der Lektüre des neuen Motu Proprio und des dazu veröffentlichten Begleitschreibens gewinnen könnte. Die Liebe zur tridentinischen Messe wird von Menschen aller Gesellschaftsschichten geteilt, viele ihrer Besucher sind sehr jung oder haben viele junge Kinder. Sie sind wesentlich für das Überleben und das Wachstum der Kirche. Dass die von den Bischöfen hierzu ausgefüllten Fragebögen etwas anderes ergeben haben könnten, ist schwer vorstellbar. Solange diese – wie unter anderem etwa von Kardinal Burke gefordert – nicht veröffentlicht werden, wird diese Angelegenheit ein Streitpunkt bleiben. Ob das zu mehr Versöhnung beitragen wird, scheint zweifelhaft.
Was die Tauglichkeit der neuen Regelungen zur Verhinderung von Spaltungen betrifft, ist noch folgendes zu sagen. Diejenigen, die – wie es im Begleitschreiben zu Traditionis Custodes heißt – „die Kirche und ihre Institutionen im Namen einer sogenannten ‘wahren Kirche‘“ ablehnen, werden sich naturgemäß auch an das neue Motu Proprio nicht halten. Die Leidtragenden werden genau jene sein, die der Kirche und dem Heiligen Vater im Zuge der Auseinandersetzungen rund um die Reform der Messe seit dem II Vatikanischen Konzil treu geblieben sind. Es wird sich dementsprechend somit gar nichts ändern. Die Abgespaltenen werden abgespalten bleiben, die Treuen werden von ihrer Treue nicht abrücken. Bei ersteren handelt es sich ohnehin größtenteils um kleine – meist wohl sedesvakantistische – Gruppierungen, deren Einfluss auf altrituelle Gläubige, die an der Einheit mit Rom festhalten, mit oder ohne Verbot der alten Messe vernachlässigbar bleibt.
Nach derselben Logik könnte man etwa auch die Feier nach dem Ritus des Hl. Johannes Chrysostomus einschränken, da dieser ja auch von vielen Orthodoxen zelebriert wird, die bekanntlich ebenfalls „die Kirche und ihre Institutionen im Namen einer sogenannten ‘wahren Kirche‘“ ablehnen. Sollte der Papst jedoch nicht die Sedesvakantisten, sondern die Priesterbruderschaft St. Pius X gemeint haben, ist unverständlich, warum sich die neuen Einschränkungen nur auf alle anderen altrituellen Gemeinschaften beziehen, während die Zugeständnisse an die Lefebvrianer (Beichte, Trauungen) aufrecht bleiben.
Auch die Spaltung, die von eher progressiv orientierten Gruppen in der Kirche ausgeht, wird durch Traditionis Custodes keineswegs geheilt. Im Gegenteil: die zum Teil absurden Vorurteile, die in liberal-katholischen Kreisen gegenüber traditionsfreundlichen Gläubigen weit verbreitet sind, werden dadurch wohl eher befeuert.
Abschließend ist zu sagen, dass die Diskussion rund um die neuen Einschränkungen für die Feier der Hl. Messe nach dem Missale von 1962 wohl eine gute Gelegenheit für einen offenen „Dialog“ der Gläubigen mit der Kirchenführung bieten könnte, so wie ihn Papst Franziskus so oft gefordert hat. So könnten ohne Zweifel viele Missverständnisse aus dem Weg geräumt werden und die Sichtweise derer, die die alte Messe weiterhin besuchen wollen, könnte gebührend gehört werden, was leider im Vorfeld der Veröffentlichung von Traditionis Custodes so gut wie gar nicht der Fall war. So wie sich die Lage jetzt darstellt, lastet jedenfalls auf vielen traditionsorientierten Katholiken eine schwere Kränkung – auch das ist sicher kein großer Beitrag zur Einheit.